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Zum Thema Verkehrsrecht
- "Lukrativer" Streifschaden: Ungewöhnliche Anhäufung typischer Umstände ohne Zeugen spricht für Manipulation
- Anhörung nach sieben Wochen: Wer sich nicht auf Erinnerungslücken beruft, muss mit Anordnung einer Fahrtenbuchauflage leben
- Auffahrunfall: Kann der Anscheinsbeweis nicht glaubhaft widerlegt werden, haftet der Auffahrende
- Erster Anschein oder Sichtfahrgebot? Wer die geöffnete Fahrertür weit in die Gegenfahrbahn ragen lässt, trägt überwiegende Haftung
- Trotz Zweit- und Drittwagen: Berechtigter Nutzungsausfall für verunfallten Bentley
In den seltenen Momenten, in denen einfach mal alles passt, sollte man sich im Leben glücklich schätzen. Gerichten allerdings kommen zu perfekte Umstände verdächtig vor, denn auch sie kennen das Leben und vor allem die Beweggründe, die Fremde vor eben jenen Gerichten zusammenführt, nur allzu gut. Mit einem solchen merkwürdig anmutenden Fall hatte kürzlich das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) zu tun, das einen Kraftfahrzeugschaden auf Betreiben der zuständigen Versicherung unter die Lupe nehmen musste.
Ein (angeblich) Geschädigter meldete sich bei der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers. Er legte ein Gutachten über einen seitlichen Streifschaden an seinem Fahrzeug vor. Es wurde behauptet, der Schaden sei auf einem Supermarktparkplatz geschehen. Der Verursacher sei beim Einparken neben dem geschädigten Fahrzeug vielleicht aufgrund von Glättebildung seitlich an dem geschädigten Fahrzeug vorbeigeschrammt, sei dann noch einmal aus der Lücke herausgefahren und habe das Fahrzeug erneut geschliffen. Zeugen gebe es keine. Die Versicherung wandte ein, dass ein manipulierter Unfall vorliege, und verweigerte die Zahlung.
Das OLG war mit der Versicherung einer Meinung. Zum einen sei ein für Manipulationen typischer Unfallort gegeben - ein einsamer Parkplatz ohne Zeugen. Das Schadensbild lasse ferner den Rückschluss zu, dass es einer besonders ungewöhnlichen Fortbewegung bedurfte, um den vorliegenden Schleifschaden herbeizuführen. Manipulierte Unfälle würden typischerweise mit langsamer Geschwindigkeit inszeniert, damit eine kontrollierte Vorbeifahrt möglich ist. Dadurch lasse sich ein langer Streifschaden erzeugen, dessen Abrechnung besonders lukrativ sei. Bei einem normalen langsamen Rangieren auf einem Parkplatz würde nach der ersten Berührung der Fahrzeuge üblicherweise sofort angehalten. Laut Sachverständigem sei der Schaden auch nicht mit einer Glättebildung zu erklären, da dann ein Anstoß zu sehen sein müsse. Vielmehr spreche das Schadensbild dafür, dass der Fahrer zweimal an dem Wagen entlanggeschliffen sein muss, so dass davon auszugehen sei, dass der zweite Berührungsvorgang vorsätzlich gewesen sei. Auffällig sei weiterhin, dass der Geschädigte zwar ein Foto von einem Zettel machte, auf dem angeblich die Telefonnummer des Schädigers stand, nicht aber von der Stellung seines Autos. Zudem sei der Zettel später nicht mehr auffindbar gewesen.
Hinweis: Der Beweis einer Einwilligung und damit eines fingierten Unfalls ist geführt, wenn sich der "Unfall" als letztes Glied einer Kette gleichförmiger Geschehnisse darstellt, ohne dass sich die festgestellten Gemeinsamkeiten noch durch Zufall erklären ließen. Zum Beweis einer behaupteten Einwilligung sind Indizien, also mittelbare Tatsachen, die geeignet sind, logische Rückschlüsse auf den unmittelbaren Beweistatbestand einer erteilten Einwilligung in die Eigentumsbeschädigung zu ziehen, darzulegen und zu beweisen. Der Beweis der Unfallmanipulation ist regelmäßig durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung typischer Umstände geführt, wenn diese in ihrem Zusammenwirken vernünftigerweise nur den Schluss zulassen, der geschädigte Anspruchsteller habe in die Beschädigung seines Fahrzeugs eingewilligt.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 12.10.2022 - 7 U 62/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2023)
Ob sich bei der Leserschaft dieses Beitrags künftig vermehrt Gedächtnislücken bemerkbar machen werden, bleibt allein schon deshalb nicht zu hoffen, da sie sich bestimmt mehrheitlich an die Straßenverkehrsordnung hält. Doch der springende Punkt macht den Fall des Verwaltungsgerichtshofs München (VGH) nach einer festgestellten Geschwindigkeitsübertretung so interessant: Die Benachrichtigung ging dem Fahrzeughalter nicht innerhalb der eigentlich üblichen Zweiwochenfrist zu. Und diesen Fakt hätte er im Anhörungsbogen besser für sich nutzen können, als er es getan hat.
Im Juni 2021 wurde mit einem Pkw innerorts eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 km/h festgestellt. Sieben Wochen später wurde der Halter des Fahrzeugs mit der Aufforderung, den Fahrzeugführer zu benennen, angeschrieben. Dieser teilte mit, dass ihm der Fahrzeugführer nicht bekannt sei. Gegenüber der Polizei wurde weiterhin geäußert, dass er sich nicht zur Sache einlassen werde. Das Bußgeldverfahren wurde daraufhin eingestellt und dem Halter eine Fahrtenbuchauflage für zwölf Monate erteilt. Der Antragsteller wandte sich jedoch gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs. Er vertrat die Auffassung, dass die Behörde ihn spätestens zwei Wochen nach dem Vorfall hätte anschreiben müssen.
Der VGH hat den Antrag zurückgewiesen. Zwar gehört zu einem angemessenen Ermittlungsaufwand grundsätzlich die unverzügliche (in der Regel innerhalb von zwei Wochen) durchzuführende Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung. Der Grund hierfür ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Fahrzeughalter die Frage nach dem Fahrzeugführer noch zuverlässig beantworten kann, die mit zunehmendem Zeitabstand geringer wird. Diese Frist hatte die Behörde mit ihrer erstmaligen Anhörung sieben Wochen nach der Tat auch deutlich überschritten. Allerdings war diese Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist unschädlich, wenn sie für die Nichtfeststellung des Fahrzeugführers nicht kausal ist - etwa weil die Ergebnislosigkeit der Ermittlungen nicht auf Erinnerungslücken des Fahrzeughalters beruht. Schließlich habe der Antragsteller als Reaktion auf die verspätete Anhörung keinerlei Erinnerungslücken geltend gemacht, sondern auf dem von ihm zurückgesandten Anhörungsbogen handschriftlich vermerkt, dass ihm der Fahrzeugführer nicht bekannt sei.
Hinweis: Die Fahrtenbuchauflage soll als Maßnahme zur vorbeugenden Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs gewährleisten, dass zumindest für die Dauer der Verpflichtung mit dem Fahrzeug begangene Verstöße geahndet werden können und der Fahrer ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Auch ein erst- oder einmaliger Verkehrsverstoß von erheblichem Gewicht kann unabhängig von der konkreten Gefährlichkeit eine Fahrtenbuchauflage rechtfertigen. Dies wird in der Regel angenommen, wenn der Verstoß mit mindestens einem Punkt nach dem Fahreignungsbewertungssystem bewertet wird.
Quelle: VGH München, Beschl. v. 13.10.2022 - 11 CS 22.1897
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2023)
Einen Klassiker im Verkehrsrecht musste das Landgericht Hamburg (LG) bewerten, und zwar den Auffahrunfall. Dass eben jener sich mehrheitlich so verhält, dass für dessen Entstehung der Hintere auf den Vorderen aufgefahren ist, setzt die allgemeine Lebenserfahrung voraus. Wer diesem ersten Anscheinsbeweis entgegentreten möchte, braucht jedoch gute Argumente - die Bestätigung des Ehepartners allein reicht dafür nicht aus.
Zwei Autofahrer fuhren im Fließverkehr hintereinander, als es plötzlich zu einer Kollision der beiden Fahrzeuge kam. Wie es dazu kam, blieb jedoch strittig. Der Auffahrende behauptet seinerseits, dass der Vordermann plötzlich rückwärts gefahren sei, was von seiner Ehefrau bestätigt wurde. Der Vordermann hingegen bestritt dies und behauptet, der Hintermann sei ihm schlicht und ergreifend aufgefahren.
Das LG gab der Versicherung des Vordermanns Recht. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die beiden beteiligten Fahrzeuge zunächst im Fließverkehr hintereinanderfuhren - und zwar üblicherweise vorwärts. Kommt es dann zu einer Kollision, müsse man im Allgemeinen davon ausgehen, dass der Hintere dem Vorderen aufgefahren sei. Um diesen Anscheinsbeweis zu entkräften, reiche es nicht aus, ein Rückwärtsfahren einfach zu behaupten. Es müssen zumindest Tatsachen vorgetragen werden, die das Rückwärtsfahren ernsthaft möglich machen. Solche Anhaltspunkte sind hier jedoch nicht benannt worden. Allein die Aussage der Ehefrau genüge dabei nicht, wenn der Vordermann das bestreitet. Somit bleibt der Verlauf ungeklärt - und dies führt dazu, dass der Anscheinsbeweis nicht entkräftet werden kann. In diesem Fall lag somit ein Verstoß gegen § 4 Straßenverkehrsordnung (StVO) vor, der so schwer wog, dass der Auffahrende allein zu haften hatte.
Hinweis: Der Anscheinsbeweis setzt Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist. Bei einem Auffahrunfall kann der Anschein gegen den auffahrenden Hintermann sprechen, dass dieser entweder unaufmerksam war (§ 1 Abs. 1 StVO) oder aber nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO).
Quelle: LG Hamburg, Urt. v. 14.11.2022 - 331 S 14/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2023)
Mit einem sogenannten "Dooring"-Unfall der etwas anderen Art war im Folgenden das Landgericht Saarbrücken (LG) befasst. Hierbei handelte es sich nicht etwa um einen Radfahrer, der durch das unvorsichtige Öffnen einer Autotür zu Schaden kam, sondern um einen Unfall zweier Autofahrer. Deren Versicherungen waren nämlich unterschiedlicher Auffassung, wer die Schäden zu verantworten hatte, nachdem eine Fahrerin in die weit geöffnete Fahrertür des anderen auf der Gegenfahrbahn gefahren war.
Der Autofahrer hielt bei Dunkelheit am Fahrbahnrand an und öffnete seine Fahrertür, die dann bis in die Mitte der Gegenfahrbahn hineinragte. Er hatte das Standlicht und die Innenbeleuchtung eingeschaltet. Da das geparkte Fahrzeug hinter einer Kuppe stand, fuhr die ihm auf der Gegenfahrbahn entgegenkommende Frau in die Tür hinein. Nun verlangten beide Beteiligten Schadensersatz - doch beide Versicherer verweigerten die Zahlung. Auf der einen Seite verwies die Versicherung des Parkenden auf das sogenannte Sichtfahrgebot, wonach den Lichtverhältnissen entsprechend so langsam gefahren werden muss, dass Hindernisse rechtzeitig erkannt werden können. Auf der anderen Seite war die Versicherung der Ansicht, dass das so weite Öffnen einer Tür bei Dunkelheit und hinter einer Straßenkuppe grob verkehrswidrig sei.
Das LG teilte durchaus die Ansicht der Versicherung der Frau, dass der Türöffner überwiegend hafte - aber in diesem Fall zu 2/3 und nicht zu 100 %. Denn es sei nach dem ersten Anschein zutreffend, dass eine in die Gegenfahrbahn hineinragende Tür als hauptursächlich für eine solche Kollision angesehen werden muss, noch dazu, wenn das Fahrzeug hinter einer Kuppe steht. Dennoch trifft auch die andere Beteiligte hier ein Mitverschulden. Wenn sie die gesamte Fahrbahnbreite ausgenutzt hätte, wäre sie an dem Hindernis vorbeigekommen. Daher sei erwiesen, dass sie entweder aus Unachtsamkeit oder wegen Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot gegen die Tür gefahren sei. Also hafte sie zu 1/3 mit.
Hinweis: Nach § 14 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) müssen sich Ein- bzw. Aussteigende so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt für die gesamte Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs - also für alle Vorgänge, die in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang damit stehen, bis hin zum Schließen der Fahrzeugtür nach dem Wiedereinstieg und dem Verlassen der Fahrbahn. Die Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO beschränkt sich dabei auch nicht ausschließlich auf solche Vorgänge, bei denen sich durch das unvorsichtige Öffnen einer Fahrzeugtür ein Überraschungsmoment für andere Verkehrsteilnehmer ergibt. Wird beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, spricht insoweit schon der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- oder Aussteigenden.
Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 11.11.2022 - 13 S 23/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2023)
Auf den ersten Blick mutet der Ausgang dieses Falls vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) unverschämt an. Denn wer neben seinem verunfallten Luxuswagen noch über einen weiteren und zudem über ein Mittelklassefahrzeug verfügt, sollte die Versicherung doch nicht unnötig schröpfen dürfen, oder? Genau deshalb lohnt sich auch immer ein zweiter, etwas nüchterner Blick auf den Sachverhalt. Lesen Sie selbst.
Bei einem Verkehrsunfall wurde der Bentley des Klägers beschädigt. Neben dem Bentley besaß der Kläger noch einen straßentauglichen McLaren sowie einen heruntergekommenen 3er BMW. Dennoch verlangte der Mann von der eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherung Nutzungsausfall für den Zeitraum vom 13.01. bis 31.03. Er trug vor, dass der McLaren keine Winterreifen habe. Zudem hätte der BMW erst repariert und mit Winterreifen ausgestattet werden müssen, um nutzbar zu sein. Pro Tag verlangte der Geschädigte daher einen Nutzungsausfall von 175 EUR.
Und in der Tat sprach das OLG dem Geschädigten Nutzungsausfall für 77 Tage zu. Es wies darauf hin, dass der Bentley nach dem Unfall nicht mehr verkehrssicher war. Der Geschädigte hatte auch nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, nur weil er über einen Zweitwagen verfüge. Notwendig ist in erster Linie, dass es sich dabei um einen fahrtüchtigen Wagen handelt und die Benutzung dieses Fahrzeugs dem Geschädigten zuzumuten ist. Dies war weder beim BMW noch beim McLaren der Fall. Beim McLaren handelt es sich in erster Hinsicht um einen Sportwagen mit erheblichen Laderaumbeschränkungen, der zudem nicht mit Winterreifen, sondern mit sogenannten Semi-Slik-Reifen ausgestattet war. Dieses Fahrzeug ist für Alltagsfahrten in den Wintermonaten schlichtweg nicht geeignet. Auch beim BMW konnte der Senat nicht feststellen, dass das Fahrzeug fahrbereit gewesen sei, da die Kupplung an der Verschleißgrenze war. Zudem verfügte auch dieses Fahrzeug nicht über Winterreifen. Der Kläger war auch nicht verpflichtet, den BMW während des Ausfalls des Bentleys zu reparieren - auch aus dem Grund, weil für den Kläger zu keinem Zeitpunkt vorauszusehen war, wie lange die Reparatur dauern würde.
Hinweis: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht ein Anspruch auf Entschädigung für den Fortfall der Nutzungsmöglichkeit von Kraftfahrzeugen. Die Gebrauchsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs stellt grundsätzlich ein vermögenswertes Gut dar und ist als geldwerter Vorteil anzusehen, so dass sich bei vorübergehender Entziehung ein Vermögensschaden ergeben kann.
Quelle: Hanseatisches OLG, Urt. v. 28.10.2022 - 14 U 168/21
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 02/2023)